Mahnmal für den Frieden: Gedenktafel am Contipark-Parkhaus Ludwigstraße eingeweiht
Parkhaus Teil der Augsburger Erinnerungskultur
16. Mai 2022
AUTOR: Presseabteilung (sth)
Am Contipark-Parkhaus „Ludwigstraße“ in Augsburg wurde am Freitag, dem 13. Mai 2022, eine Gedenktafel eingeweiht. Das Parkhaus befindet sich an dem Ort, an dem einst das Firmen- und Wohnhaus einer während des Nationalsozialismus zwangsenteigneten jüdischen Kaufmannsfamilie stand. Auf die Initiative von Miriam Friedmann und Andreas Binswanger, zweier Nachkommen dieser Familie, und unterstützt von Contipark und der Stadt Augsburg erinnert die Gedenktafel ab sofort an die Geschichte des Ortes.
Miriam Friedmann zur Initiative, Motivation und Entstehung:
„Vor etwa vier Jahren bei einem Spaziergang durch die Stadt, wohl wissend, dass vor über 70 Jahren ein Teil meiner Familie hier ihre Firma und Wohnort hatten, klopfte ich einfach an die Türe von Herrn Berger, Betriebsleiter des Contipark-Parkhauses in der Ludwigstraße, und stellte mich vor. Auf Anhieb haben wir einander verstanden. Wir hatten ein intensives Gespräch, und bei einem zweiten Besuch entstand die Idee für eine Gedenktafel. Nach einigen nicht unproblematischen Verhandlungen und bürokratischen Hürden waren alle Beteiligten fest davon überzeugt, dass eine Gedenktafel einen Platz an der Fassade finden solle. Im Einvernehmen mit Andreas Binswanger und seiner Mitwirkung unter Verwendung seines „Binswanger Familien Archivs“ konnte das Projekt schließlich verwirklicht werden.
Es war mir klar, wenn hier über diese Fakten im Zusammenhang mit der Geschichte des Hauses berichtet wird, so soll damit weder ein Vorwurf an die späteren Besitzer gemacht, noch irgendeine Forderung erhoben werden. Wir waren uns alle vielmehr einig, durch eine gemeinsame Aufgabe dazu beizutragen, unsere Gesellschaft vor einem Rückfall in solche barbarischen Zeiten zu bewahren.
Meine Motivation für dieses Projekt entsteht aus einem Bild, das ich seit meiner Kindheit im Kopf von meinen Großeltern Eugen und Emma (geb. Binswanger) Oberdorfer trage, die von den Nazis wie auszurottendes Ungeziefer verfolgt und wie Müll in einem Massengrab in Auschwitz entsorgt wurden, und an meine Großeltern Friedmann, die sich am Abend vor ihrer Deportation das Leben nahmen. Es war ihre letzte freie Entscheidung.
Für viele jüdische Mitbürger gibt es keine Orte der Erinnerung, deswegen bedeutet diese Tafel mehr als nur ein historisches Zitat.
Obwohl unsere Familien durch Kontinente und Generationen voneinander getrennt sind, so dient auch dieses Gebäude als Verbindung und Erinnerung an unsere Wurzeln. Es ist ein Gedenken an ungeheures Elend, erlitten in Zeiten der Unterdrückung. Es wird ein immerwährendes Zeugnis für diejenigen sein, die dort lebten.“
Andreas Binswanger zur Familie Binswanger und dem Binswangerhaus:
„Die Firma „Jacob Binswanger & Cie“ betrieb hier ihre Essig- und Likörfabrikation mit Weinhandel. Während fünf Generationen lebten und arbeiteten 34 Familienmitglieder in diesem Haus. Am 9. Mai 1939 wurde die „Firma Jacob Binswanger & Cie“ zusammen mit dem Binswangerhaus im Rahmen der NS-„Arisierung“ zwangsenteignet. Noch vor Kriegsausbruch konnten ein 14-jähriger Knabe der Familie Binswanger und seine 7-jährige Schwester mit einem „Kindertransport“ nach England fliehen. Ihre Eltern und weitere Familienmitglieder wurden später in Auschwitz und Theresienstadt ermordet. Das Binswangerhaus wurde in der Bombennacht vom 25. auf den 26. Februar 1944 komplett zerstört.
Die Familie Binswanger übersiedelte 1865 mit ihrer Essig- und Likörfabrikation von Osterberg, wo ihr Fabrikationsgebäude niedergebrannt war, in dieses Haus, damals Ludwigstrasse Nr. D 174. Sie hatte das 1590 von Stadtwerkmeister Johan Holl erbaute Haus von Alois Seidenschwang gekauft.
Eine 1936 von einem nicht namentlich bekannten Familienmitglied verfasste Schrift „Das Binswangerhaus“ beschreibt das Leben und Wirken in diesem Haus. Darin wird die Geschichte der Familie Binswanger und ihrer Essig- und Likörfabrikation prägnant aufgezeichnet. Es ist eine Familiengeschichte, wie sie sich vermutlich in vielen anderen jüdischen und nichtjüdischen Familien abgespielt hatte, bis in den 1930-er Jahren der Nationalsozialismus in ganz Deutschland „salonfähig“ wurde.
Der eingangs erwähnte 14-jährige Junge war Heinrich Neuburger, Enkel von Betty Binswanger. Er verfasste anlässlich der Einweihung des erweiterten Museums der Jüdischen Kultusgemeinde vom 4. November 2006 ebenfalls seine Erinnerungen an das „Binswangerhaus“. Darin beschreibt er, wie glücklich seine Jugend in diesem Hause verlief, bis der Druck des nationalsozialistischen Regimes auf die Familie immer größer wurde. Sie musste sich zuerst innerhalb des Hauses zu Gunsten nichtjüdischer Bewohner in wenige Räume zurückziehen. Am 28. Juni 1939 kam dann für Heinrich und seine Schwester Elisabeth der schwere Zeitpunkt des Verlassens von Deutschland mittels Kindertransport nach England. Damit verbunden war die endgültige Trennung von seinen Eltern. Diese mussten 1939 in ein Judenhaus umziehen, um dort auf die Deportierung vorbereitet zu werden. Schließlich wurden sie am 8. März 1943 abgeholt, mit der Bahn nach Auschwitz transportiert und dort kurz darauf ermordet.
Die Firma „Jakob Binswanger & Cie“ wurde zusammen mit dem „Binswangerhaus“ „arisiert“. In diesem Fall „verkauften“ die Binswangers mit Vertrag vom 5. Dezember 1938 zwangsweise an die „Hotel Drei Mohren AG“. Diese betrieb ab dem 9. Mai 1939 das Geschäft und den Handel weiter. Durch die Aufzeichnungen zur Geschichte des „Hotel Drei Mohren“, heute „Maximilian’s“ von Autor Thomas Wiercinski aus dem Jahre 2015 hat die Leitung der „Drei Mohren AG“ die damalige Geschichte der „Arisierung“ und des Kaufs der „Jacob Binswanger & Cie“ in vorbildlicher Weise aufgearbeitet und damit auch ihren Teil zur Erinnerung an die Gräuel des Nationalsozialismus beigetragen.
Das „Binswangerhaus“ selbst wurde in der Bombennacht vom 25. auf den 26. Februar 1944 komplett zerstört.
Es waren Miriam Friedmann, aufgewachsen in den USA, seit dem Jahr 2001 wohnhaft in Augsburg, und Andreas Binswanger aus Kreuzlingen in der Schweiz ein großes Anliegen, hier in Augsburg der Vertreibung und Vernichtung ihrer jüdischen Familienangehörigen mittels dieses Mahnmals in Form einer Gedenktafel zu erinnern. Beide Nachkommen der Familie Binswanger haben über die unabhängig voneinander betriebene Forschung zu ihrer Familiengeschichte zueinander gefunden.
Miriam Friedmann und Andreas Binswanger haben sich zudem auch von den Bemühungen der Stadt Augsburg mit ihrer Fachstelle für Erinnerungskultur bestärken lassen und bei ihr die Bewilligung für das Anbringen dieser Gedenktafel eingeholt. Die Firma Contipark, die das Parkhaus betreibt, wo einst das „Binswangerhaus“ stand, hat das Vorhaben ebenso wohlwollend unterstützt. Wir danken der Firma Contipark ganz herzlich für die Möglichkeit der Anbringung dieser Gedenktafel. Einen ebensolchen Dank richten wir an die Stadt Augsburg, die dieses Vorhaben unterstützt hat.
Die Anbringung dieser Gedenktafel soll nicht nur einen Beitrag zur Erinnerung an den Nationalsozialismus, sondern auch zur Bekämpfung erneuter rechtsnationaler Tendenzen beitragen. Denn das auf der Tafel aufgebrachte Zitat von George Santayana heißt: „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“.
„Diese Erinnerung soll in der Friedensstadt Augsburg zur Verständigung und zum friedlichen Zusammenleben zwischen Menschen verschiedener Herkunft und verschiedenen Glaubens beitragen.“
Contipark-Regionalleiter Michael Hackl zum Engagement von Contipark:
„Als erfolgreiches Unternehmen mit rund 590 Parkeinrichtungen in ganz Deutschland und Österreich sind wir uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst. Darum engagieren wir uns in zahlreichen Projekten – ob sozial, kulturell oder ökologisch. Das machen wir besonders auf lokaler Ebene. Denn hier, an unseren Standorten, sind wir Partner vor Ort – Partner der Städte und Kommunen, der lokalen Wirtschaft, aber auch und vor allem der Menschen. Ob Anwohner, Pendler oder Besucher: Sie alle haben Anspruch auf eine lebenswerte Stadt, die wir gerne gemeinsam mit ihnen gestalten.
Wir sind deshalb sehr dankbar, dass Miriam Friedmann und Andreas Binswanger die Initiative ergriffen und uns auf die Geschichte des Standortes unseres Parkhauses „Ludwigstraße“ in Augsburg aufmerksam gemacht haben. Diese muss dringend erzählt werden, erst recht in dieser Zeit, in der die gegenwärtigen Entwicklungen in Europa zeigen, dass die Gefahr einer Wiederholung der Geschichte noch lange nicht gebannt ist. Auch vor diesem Hintergrund freuen wir uns, einen Beitrag zur Erinnerungskultur der Stadt Augsburg leisten zu können. Denn Werte wie Demokratie, Frieden und Rechtsstaatlichkeit gehören zum Selbstverständnis unseres Unternehmens. Die Anbringung der Gedenktafel mahnt genau diese Werte an, indem sie ins Bewusstsein rückt, wie fragil sie noch immer sind.“
Foto v. l. n. r.: Jean Berger (Betriebsleiter), Miriam Friedmann, Andreas Binswanger, Copyright: Contipark